Widerspruch – die Grundlagen

Ein Widerspruch kann verschiedene Grundlagen haben. Er muß nicht unbedingt so aussehen, wie es in diesem Blog bisher angedeutet wurde.  Deshalb vielleicht nochmal eine Übersicht über Sachverhalte, die man zum Ausgangspunkt eines Widerspruchs machen kann – und sollte:

1. Die Aufgabe ist unverständlich formuliert. Kommt vor in allen Fächern, zuletzt in NRW in der besagten Mathe-Klausur von 2013, weswegen Hunderte von Schülern vor dem MSW demonstrierten. Mathe ist aber leider nicht das einzige Fach, in dem sowas passiert. Für Englisch gilt bisher, daß die Aufgabenstellung stereotyp und schwammig ist. Die Anforderungen zu diesen Aufgaben (früher: Erwartungshorizont) sind jedoch sehr differenziert formuliert, wenn auch manchmal katastrophal am Thema vorbei. Diese Kluft zwischen schwammiger Aufgabe und differenzierter Leistungsanforderung ist der Ansatzpunkt für den Widerspruch. Er hat nicht unbedingt etwas mit der eigenen Klausur zu tun.

2. Die Aufgabe ist zu schwer. Ja, so einfach kann’s sein. Die geforderte Leistung kann nicht erbracht werden, weil der Kram nicht durchgenommen wurde, oder nicht so, wie er dann im Abitur abgefragt wurde. Im Streitfall – also bei einem Widerspruch – entscheidet vor Gericht, was die Unterlagen der Lehrkraft hergeben, also z.B. das Kursheft, das er über seinen Kurs geführt hat. Das ist natürlich interpretierbar, weil diese Aufzeichnungen sehr knapp gehalten sind, aber sie sind ein Anhaltspunkt.  Wenn da z.B. festgehalten ist zum Thema Genmanipulation, daß das Klonen von Babies Unterrichtsgegenstand war, kann man schwerlich von Dir verlangen, daß Du über agrartechnische Genmanipulation (Monsanto & Co.) Bescheid weißt.

3. Die Textbasis ist zu schmal, um zu einem Interpretationsergebnis zu kommen. Eindringliche Beispiele hierzu sind die Klausuren aus 2013: Immigration Policy und Just Business. Diese Texte sind so stark eingekocht, d. h. gekürzt, daß sie vorne und hinten keinen Sinn mehr machen. Es sind nicht die einzigen. Der Salman Rushdie Text  Good Advice is Rarer than Rubies ist noch so ein grausiges Beispiel. In dieser Probe-Klausur hatten die Aufgabensteller nur den 2. Teil der Kurzgeschichte für die Interpretation angeboten. Was vorher zur Handlung gehörte, konnten die Prüflinge nur erraten. Das kann nicht funktionieren.

4. Die Anforderungen stimmen nicht. Klassisches Beispiel in diesem Blog ist die Klausur aus 2008, wo einfach gar nichts stimmte. Der Text gab nichts her, die Aufgaben machten keinen Sinn, und die Anforderungen waren nicht nachzuvollziehen, sie waren z. T. horrender Blödsinn. Da muß man dann eben mal genau hinschauen, wenn die Prüfungsunterlagen vorliegen, notfalls mit Hilfe eines Englischlehrers, der noch über einen gesunden Menschenverstand verfügt.

5. Das unbekannte Vokabular sprengt den Zeitrahmen. Kommt leider regelmäßig vor: Seit Jahrzehnten, bereits vor der Einführung des Zentralabiturs war es gang und gäbe, anspruchsvolle Texte zu präsentieren, die mit Vokabular überladen waren, das den Schülern nach allem menschlichen Ermessen unbekannt sein mußte. Vielleicht schön und gut, wenn man als Prüfling die erforderlichen Erklärungen oder Übersetzungen in den Annotations vorfindet. Aber dem ist nicht so. Unvermeidlich sind Zeitverlust und Frustration bei dem Versuch, den Text zu verstehen. Und gleich zu Beginn der Prüfung wird dem Examinanten vorgeführt, daß er der kleine Dumme ist.

6. Der Korrektor richtet sich ausschließlich nach den sog. Anforderungen ….. die in den amtlichen Papieren expressis verbis ausformuliert sind. Sie sind jedoch nicht verbindlich, was ja auch bei Analyse und Interpretation nicht sein kann, nicht sein darf. Selbst in der Mathematik oder Physik kann es vorkommen, daß Schüler einen ganz persönlichen Lösungsansatz finden und trotzdem zum erwünschten Ergebnis kommen. Umsomehr bei literarischen und Sachtexten des Englischen.  Verläßt sich der Korrektor also auf die amtlich vorformulierte Standardversion des gewünschten Ergebnisses, fällt der Lösungsansatz des Schülers unter den Tisch, wird nicht erkannt. Das darf nicht sein, und ist auch von Amts wegen nicht vorgesehen.

7. Der Korrektor macht Fehler bei der Wertung von  Sprache und Inhalt.         Tja … ein weites Feld für genaues Hinsehen, am besten mit Hilfe eines Experten, z.B. eines Englischlehrers, der die Dinge vielleicht anders sieht. Wir haben Klausuren gesehen, in denen mehr als 20 Fehler zu Unrecht moniert wurden. Die Rede ist hier von rein sprachlichen Fehlern. Ebenso kann der Korrektor Anstoß nehmen an Aufbau und Durchführung der Analyse, aber auch an der mangelnden Originalität oder Stringenz der Interpretation. Ein weites Feld, das sich aber lohnt, in einem Widerspruch beackert zu werden – vorzugsweise mit Hilfe eines versierten Experten.

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