Textkürzungen spielen eine Rolle bei den Aufgaben für Klausuren, nicht nur im Abitur. Dies betrifft vornehmlich die fiktionalen Texte, die fast immer notgedrungen Auszüge sind aus Romanen, Dramen oder Kurzgeschichten, wie im Falle des Salman Rushdie-Auszugs aus Good Advice is Rarer than Rubies. In den 4 Abitursklausuren, die bisher in diesem Blog erwähnt wurden, ist der jeweilige Auszug entweder ohne Aussage (The Queen), an der Aussage vorbei, oder so gekürzt, daß man ihn schlicht als verhunzt betrachten muß. Letzteres trifft zu auf Susan Bassnetts Shakespeare’s in Danger ….
In einer Mail an uns gibt die Autorin ihrem Befremden darüber Ausdruck, daß man erstens ihren Artikel gekürzt hat, ohne sie zu konsultieren, und zweitens, daß es sich dabei um substantial cuts handelt. Die folgende Grafik zeigt gelb unterlegt die aus dem Original gekürzten Passagen. Wer sich mit ihrem Inhalt befaßt (Klick auf Grafik), wird vermutlich die Irritation der Autorin verstehen.
Man kann nicht übersehen, daß die ausgelassenen Passagen tatsächlich wesentliche Aussagen der Autorin zum Ausdruck bringen, die – aus welchen Gründen auch immer – unterschlagen wurden. Sie fordert darin eine Übersetzung Shakespeares in modernes Englisch, u. a. für den Unterricht an (britischen) Schulen, weil Shakespeare zunächst anders kaum verdaulich ist. Zu beneiden seien in diesem Zusammenhang andere Nationen, die ja Shakespeare sofort in verständlicher Muttersprache vorgelegt bekämen.
Nichts könnte dem MSW ferner liegen als das. Statt dessen geistert Shakespeare weiterhin in der Originalfassung, und ausschließlich in dieser, durch das deutsche Abitur. Deutsche Schüler sind eben als Anglisten unschlagbar, so scheint’s. Und wer braucht da ein Plädoyer für verständliche Literatur?
Die Kürzung auf die vom MSW zugelassene Wortmenge ist gedankenlos bewerkstelligt, beinahe schlampig, möchte man sagen. Außerdem ist das Erscheinungsdatum des Artikels falsch angegeben, und der angegebene Link – ohnehin längst obsolet – ist unbrauchbar wegen eines Schreibfehlers, er hätte also nie funktioniert. Wer von den vielen Qualitäts-agenten liest hier eigentlich Korrektur?
Daß Susan Bassnett in ihrem Amt unzutreffend beschrieben wird, ist kaum verzeihlich. Der Independent gibt ihren Status an als Professor in the Centre for Translation and Comparative Cultural Studies at the University of Warwick. Sie ist jedoch nach ihrer Aussage bereits seit Jahren Professor in the Dept. of English and Comparative Literary Studies. Eine kurze Rückfrage beim Sekretariat der Professorin hätte hier Gewißheit verschaffen können. Der Artikel ist immerhin von 2001, sein Erscheinen lag also zum Zeitpunkt seiner Verwendung für das NRW-Abi 11 Jahre zurück. Soviel zur Sorgfalt der Quellen-Recherche beim MSW.